Bindungsprobleme aus neurobiologischer Sicht
5. November 2018Adoption als Lebensthema
7. April 2019Gute Begleitung
„Adoption braucht gute Begleitung!“ Das höre ich in meiner Arbeit oft von vielen Seiten. Aber was heißt das genau? Wie sieht gute Begleitung konkret aus? Oder viel mehr, was hat gute Begleitung an Unterstützung zu leisten? Wann und wie ist sie notwendig und wo kann man sie finden? Fragen über Fragen. Auch ich, als adoptiertes Kind, später als Teenie und auch als junge Erwachsene hätte mir Unterstützung gewünscht und sogar gebraucht. Allerdings gab es in diesen Zeiten entscheidende Dinge, die mich daran hinderten, mich begleiten und unterstützen zu lassen.
Zum einen, war ich mir damals überhaupt nicht darüber im Klaren, dass Begleitung erforderlich oder hilfreich sein könnte und somit die Idee danach zu suchen, um alle meine unbewussten Fragen zustellen und über ihre Beantwortung Erleichterung zu erfahren noch nicht geboren. Zum anderen hatte ich auch schon als Kind die mir von der Gesellschaft vorgelebte Vorstellungen, das nur hilfsbedürftige, also schwacher oder kranker Menschen Unterstützung bekommen oder begleitet werden und krank oder hilflos wollte ich mich ganz und gar nicht fühlen. Es war sogar so, dass ich große Angst davor hatte, als krank, gestört Oder hilflos beurteilt zu werden und somit für mich das Risiko bestand, eine Belastung zu sein. Andere zu belasten oder ihnen Unannehmlichkeiten zubereiten barg für mich die subjektiv empfundene Gefahr, wieder weggeschickt zu werden, nicht gewollt zu sein. Dies wollte ich um jeden Preis verhindern. Unbewusst und ganz dem Bedürfnis eines Kindes nach Unbeschwertheit, legte ich viel Wert auf Normalität. Ich entschied mich dafür, alles mit mir selbst auszumachen, mit der festen Überzeugung, mich könne sowieso niemand verstehen. Auch war das Misstrauen gegenüber anderen Menschen, sogar meiner Adoptiveltern so gross, dass ich nicht in der Lage war, gut gemeinte Ratschläge anzunehmen. Ich konnte einfach nicht glauben dass sie es wirklich gut mit mir meinten und ihnen nur an meinem Wohlergehen gelegen war. Gelegentlich tat ich manche Dinge nur deshalb, um nicht in Ungnade zu fallen aber niemals weil ich vertrauen hatte.
Ich beschäftige mich schon sehr lange damit, herauszufinden, was ich und andere Adoptierte wirklich brauchen und was Adoptiveltern und Pflegefamilien brauchen, um gute Unterstützer zusein. Neben allen Informationen, dem Fachwissen, den Berichten anderer und den eigenen Erfahrungen war es bei mir immer eine ganz besondere Form der Unterstützung die ich annehmen konnte, jedoch nur, wenn ich sie mir selbst organisiert hatte. Das unbewusste Hauptkriterien meiner Entscheidungen war hier die Tatsache das ich immer in der Lage gewesen sein musste Selbst zu erkennen, was mit mir los war und selbst Entscheiden konnte, was davon ich annehmen möchte und wie ich es umsetze. Anfangs konnte ich mir diese Strategie selbst nicht erklären. Es hatte einfach irgendwie richtig angefühlt. Andere hingegen interpretierten mein Verhalten als stur und dickköpfig, eigenwillig und widerspenstig. Dass dies dennoch Sinn machte, erfuhr ich erst viel später in meiner Studienzeit, als ich das erste Mal von Maria Montessori hörte. Ihr Ansatz aus der Sicht eines Kindes war: „ hilf mir es selbst zu tun!“ Ich fühlte mich schon damals dadurch sehr bestätigt und vor allem gestärkt. Ja, ich wollte Einfluss nehmen, etwas bewirken und vor allem selbst wirksam sein. Um keinen Preis abhängig vom Urteil oder der Meinung anderer, denn diese Erfahrung hatte ich bereits gemacht. Ich wusste, wie sich anfühlt, wenn man die Konsequenz einer Entscheidung tragen muss, ohne mit entschieden zu haben. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es für dieses Gefühl der Ohnmacht keine Rolle spielt, ob man zu einer Mitsprache in der Lage gewesen wäre. Es entsteht trotzdem und will und muss gewürdigt werden.
Über Viele Jahre konnte ich mir durch meine Arbeit, neben meinem eigenen, noch ein zusätzliches Bild über die Erzählungen anderer machen und mit meinen Erfahrungen abgleichen. Trotz der vielen unterschiedlichen Lebensgeschichten und der vielen individuellen Färbungen, lassen sich fast identische Gefühle, Bedürfnisse und Ängste finden, die auf ähnlichen wegen zum Ausdruck gebracht werden. Es lässt sich zusammenfassend sagen, dass es sich lohnt, Unterstützung und Begleitung aus der Sicht der Salutogenese (die Lehre von der Gesunderhaltung) und weniger aus der Pathogenese (die Lehre der Krankheitsursachen) zu betrachten. Neben den institutionellen Unterstützern gibt es auch eine Menge davon in allen Lebensbereichen auf dem freien Markt, die mit viel Kreativität und Herzblut Möglichkeiten für Problemlösungen bieten. Warum nicht einmal ausprobieren?
Die wichtigste Kompetenz, die es für gute Begleitung geben muss und von dem wie allerorts bereits bekannt zu wenig vorhanden ist, ist Vertrauen. Die Rechnung ist simpel. Wer Vertrauen hat, kann Unterstützung annehmen, wer keine Unterstützung nimmt, hat eben kein Vertrauen. Vertrauen entsteht durch Bindung. Durch Adoption und Pflege verrutscht der Bindungsauftrag von den leiblichen Eltern auf die Adoptiv- und Pflegeeltern und sind Herausforderung und Chance zugleich. Von nun an sind diese für die Bindungsarbeit zuständig. Der Erfahrung nach, ist hier von Anfang an die beste Unterstützung möglich, wenn das Potenzial hierfür erkannt und umgesetzt werden kann. Gewünscht wird nach wie vor ein gewaltfreier Entwicklungsraum, in dem die Eltern selbst, durch eine stabile Identität dazu in der Lage sind, Vertrauen vorzuleben.
Idealer Weise haben sie Vertrauen in das gesunde, schöpferische Potential ihrer Kinder, ohne ihre Angst vor unvorhersehbaren Störungen und Belastungen auf sie zu übertragen und sie zu verunsichern. Gut begleitet fühlen sich vor allem die Menschen, bei denen von Anfang an klar war, dass es sich um ein Adoptionsverhältnis handelt und dies zu jeder Zeit offen thematisiert werden konnte, egal wie hart oder wie schmerzhaft es auch gewesen sein mag. Als gute Begleitung für die Entstehung von Vertrauen durch Bindungsarbeit ist die Wahrheit. Nichts ist schlimmer, als zu erfahren, belogen worden zu sein. Wem kann man dann überhaupt noch trauen? Keine Wahrheit ist so schlimm, wie die destruktiv interpretierten Gründe und eigenen erklärenden Gedanken dazu. Oft sind es nur Missverständnisse, die aber durch Geheimhaltung nie Aufklärung und somit keine Erlösung finden, sich anstauen und mitgeschleppt werden. Oft ist auch nicht klar, dass adoptiert sein nicht mit dem 18. Lebensjahr endet und es wird versäumt, die Kinder auf spätere Situationen vorzubereiten, in denen ihnen ihr Schicksal buchstäblich um die Ohren fliegt. Zum Beispiel kennen nur adoptierte Frauen, die selbst ein Kind geboren haben und von Liebe für dieses Kind durchflutet werden, den abgrundtiefen Schmerz darüber, selbst abgegeben oder weggenommen worden zu sein und die Wucht, mit der dieser Schmerz völlig unvorbereitet über sie kommt und ihnen die Orientierung für das nimmt, was grade am wichtigsten wäre. Darauf wird niemand vorbereitet.
Von diesen Themen gibt es viele. Es sind Lebensthemen, die alle Menschen haben, aber in denen es gerade für Adoptierte und Pflegekinder einen Unterschied macht, vorbereitet zu sein. Jeder hat ein Recht auf Unterstützung und sogar Institutionen und Eltern dürfen sich Hilfe holen, wenn sie an ihre Grenzen stossen oder einfach nicht mehr weiter wissen. Es ist eine gute Form der Begleitung, sich selbst Begleitung zu besorgen. Schon allein um ein gutes Vorbild sein zu können. Wenn es uns gelingt mehr stabile, gesunde und gut vorbereitete Adoptiv- und Pflegekinder gross zu ziehen, die sich ebenfalls ins Netz der Unterstützer einflechten lassen, denn ihre Authentizität ist wertvoller als alles andere, dann schaffen wir einen grossen erfolgreichen Schritt weiter zu einem ganzheitlichen miteinander. Nachweisslich ist das Vertrauen in Menschen grösser, die selbst schon einmal in so einer oder ähnlicher Situation gesteckt haben und sie gut überstanden haben. Hier ist Mut gefragt. Der Mut, sich allem unbekannten zu stellen mit der Gewissheit, dass wir im Kern alle gesund sind und dass wir niemals am Ende unserer Möglichkeiten angekommen sein können.
Es geht immer soviel mehr. Warum also zögern?!
Ihre Frage ist willkommen
- Sie sind adoptiert oder Eltern eines adoptierten Kindes? Sie wünschen sich Hilfe im Umgang mit Problemen oder bei einem nächsten gemeinsamen Schritt? Ich bin so gerne für Sie und Ihr Anliegen da.